Der verlorene Kampf

Die traurige Geschichte eines Pottwal-Jungtiers vor der Insel Dominica

Wir haben hart gekämpft und doch verloren.
Im März 2015 sahen wir es zum ersten mal:
das Pottwal-Jungtier, das wir „Digit“ getauft haben,
hatte sich in einem Fischerseil verfangen.

Leider hatte es sich sehr unglücklich um seine Fluke gewickelt und fest mit einem Knoten verbunden. Von Unterwasser konnten wir das ganze Ausmaß erkennen. Er zog ein ca. 6 Meter langes Seil hinter sich her. Taucher versuchten das Seil zu lösen, konnten aber leider nur einen Teil abschneiden. Ca. 1 Meter Seil waren immer noch um seine Fluke verknotet. Da wir kurz vor unserer Abreise standen konnten wir zu diesem Zeitpunkt nichts mehr für ihn tun. Wir versuchten jedoch noch alle Hebel in Bewegung zusetzen um geeignete Rettungsmaßnahmen einzuleiten.

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Im Laufe des Sommers wurde sogar ein Spendenaufruf von Ted Cheeseman eingeleitet um die ganze Aktion zu finanzieren. Alles sah gut aus, die Spendenaktion war erfolgreich und erste Kontakte mit der Regierung waren geknüpft um die Rettungsaktion so schnell wie möglich einzuleiten.

Doch dann kam im August 2015 der Tropensturm „ERIKA“ und veränderte alles. Die Insel Dominica erlitt furchtbare Schäden, viele Menschen kamen ums Leben und einige Regionen waren komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Es war furchtbar mit anzusehen, wie die wunderbare Karibik Insel Dominica von heute auf morgen großen Zerstörungen unterlag.

Zu diesem Zeitpunkt war sofort klar, dass natürlich andere Rettungsmaßnahmen für die Bevölkerung absoluten Vorrang hatten. Keiner hatte nun die Zeit und auch die Gedanken dafür, einen jungen Pottwal zu retten. Was natürlich auch absolut verständlich war. Erst nach vielen Wochen kehrte so etwas wie Normalität auf der Insel zurück.

Die Insel Dominica war auf viel Hilfe auch aus dem Ausland angewiesen. Auch wir halfen natürlich wo wir konnten. Dabei ließen wir aber den jungen Pottwal Digit niemals in Vergessenheit geraten und waren dann froh, endlich wieder selber nach Dominica reisen zu können.
DSC08640Anfang Dezember 2015 waren wir wieder vor Ort und auch gleich bei unseren ersten Ausfahrten begegneten wir dem „kleinen Kerl“. Natürlich war die Freude zuerst groß, dass er noch lebte. Aber schon Minuten später kam das Entsetzen. Unterwasser konnten wir sehen, dass sich das Seil sehr stark in seine Haut geschnitten hatte und schon große Wunden verursacht hat.

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Das Problem ist, dass es sich um einen jungen Pottwal handelt, der noch wächst. Durch das festverknotete Seil können die Muskeln an der Fluke nicht mitwachsen, da sie von dem Seil abgeklemmt werden. Die Wunde sah schrecklich aus und es war auch furchtbar mit ansehen zu müssen wie Digit litt, denn durch seine starken Verletzungen war er nicht mehr in der Lage, tief abzutauchen und seine Fluke aus dem Wasser zu heben. Er konnte immer nur seinen Rücken krümmen, um dann zu versuchen, wenigstens damit einen Abtrieb zu bekommen.
Es war keine Zeit zu verlieren und somit begannen wir nun mit Hochdruck an der Rettung von Digit zu arbeiten. Zuerst nahmen wir Kontakt mit Spezialisten auf, die durch Schulungen und bereits an Walbefreiungen mitgewirkt haben. Sie erklärten uns, dass wir auf jeden Fall ein Spezialwerkzeug dafür brauchen: einen langen Stab mit einem Messer am Ende im 45 Grad Winkel, das aber an der Spitze abgeflacht sein muss, um den Wal nicht zu verletzten. Da wir solch ein entsprechendes Werkzeug nicht auf Dominica kaufen konnten, wurden Zeichnungen angefertigt wie es auszusehen hatte.
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Daraufhin besorgten wir das notwendige Material, welches aus einer langen Stange, einem guten Tauchermesser und einigen Schrauben und Ösen bestand. Dann gaben wir es an einen Schweißer, erklärten was wir brauchten und einige Tage später konnten wir das Spezialwerkzeug in Empfang nehmen. Wir sprachen mit den örtlichen Whale watch Unternehmern, einem erfahrenen Guide und einem Taucher der die ganze Aktion durchführen sollte.
Wir wollten lediglich mit an Bord sein und die ganze Befreiungsaktion fotografieren und dokumentieren. Aber da haben wir die Rechnung ohne die Behörden gemacht. Obwohl das Fischerei Ministerium über diese Aktion Bescheid wusste, bekamen wir zwei Tage vor der geplanten Ausfahrt den verdeckten Hinweis, dass man uns verhaften wollte, sollten wir hinausfahren und versuchen den Wal zu retten.

Vollkommen entsetzt und schockiert setzten wir uns natürlich sofort mit der Fischerei Behörde in Verbindung und versuchten einen Gesprächstermin zu bekommen. Wertvolle Zeit verging und erst nach zwei Wochen und langen Meetings war die Situation geklärt und die Rettung konnte beginnen. Doch nun hatten wir ein anderes Problem. Die Pottwal Familie zu der Digit gehört war mittlerweile aus den Gewässern vor der Insel verschwunden und weitergezogen. Enttäuscht und hoffnungslos mussten wir nun weiter abwarten. Dann endlich nach vier Wochen kam die erlösende Nachricht.

Fingers, die Mutter, und Digit wurden bei einer Ausfahrt wieder gesehen. Nun ging alles sehr schnell. Werkzeug eingepackt, Boot gemietet und raus …

Aber Tiere wissen nun mal nicht, dass man ihnen helfen möchte. Immer, wenn der Taucher sich Digit auch nur ansatzweise näherte, verschwand er sofort oder andere Pottwale aus der Familie, wie seine Mutter Fingers, drängten ihn ab. Tagelange Versuche blieben ergebnislos.

Er gab uns keine Chance ihm zu helfen!

Eines Tages konnten wir auch beobachten, wie er ganz plötzlich aus dem Wasser sprang und dann mehrfach mit der Fluke auf das Wasser schlug. Es muss ihm extreme Schmerzen bereitet und viel Kraft gekostet haben, denn er konnte seine Fluke zum Abtauchen nicht abknicken und mit ihr auf das Wasser zu schlagen, war wohl einfach ein Akt der Verzweiflung, das Seil endlich loswerden zu wollen.
Digit Fluke

Mit Tränen in den Augen mussten wir mit ansehen, dass es für uns unmöglich wurde, den kleinen Wal zu retten.

Wenigsten konnten wir des Öfteren beobachten, dass er nicht hungern musste, denn seine Mutter Fingers hat ihn manchmal noch gesäugt, obwohl das bei einem fünfjährigen Pottwal sehr außergewöhnlich ist. Normalerweise hören Pottwale mit drei Jahren auf Muttermilch zu sich zu nehmen. Da Digit durch seine Verletzungen nicht tief tauchen konnte, um Tintenfische zu jagen, wurde er wenigstens von seiner Mutter noch mit Muttermilch versorgt.

Es ist unglaublich mit anzusehen wie sozial, fürsorglich und wie stark die Mutter-Kind-Beziehungen sind.

Wir haben alles gegeben, um ihn zu retten, aber doch leider verloren. In der Zeit in der wir auf Dominica waren, schafften wir es nicht, das Seil von der Fluke abzuschneiden. Aber auch, wenn dies eines Tages gelingt, gehen wir davon aus, dass er es nicht überleben wird. Dafür sind die Wunden zu tief und er hat diese schweren Verletzungen schon zu lange (nun fast ein Jahr). Bakterien können in die Wunde eindringen. Auch, wenn er noch weiterlebt, er wird wachsen aber seine Fluke kann nicht mitwachsen, weil seine Muskeln abgeschnitten sind.

Es ist traurig und man fühlt sich hilflos. Man will helfen …, aber nicht immer gelingt es einem. Und es tut weh, mit zu erleben, wie ein weiteres Jungtier von Fingers sterben wird. Denn auch ihr erstes Baby aus dem Jahre 2005 starb schon ein Jahr nach seiner Geburt.

Aber wir werden weiter kämpfen für das Überleben dieser wunderbaren Meeressäuger!

Andrea und Wilfried Steffen, Pottwale e.V.

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  • Pottwale - Im dunklen Blau des Meeres
  • Wale Hautnah - Das Buch
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