Zu Tode geliebt…

Die zwei Wale vor uns wirken recht entspannt. Sie schwimmen, nein eigentlich schwimmen sie gar nicht, sie treiben so vor sich hin. Alle 10 bis 15 Sekunden blasen sie aus, wie man das bei Walen nennt, um dann hörbar wieder einzuatmen.

Die Folgen des Walbeobachtungstourismus

Hier in der warmen Luft der Karibik ist die Blaswolke kaum zu sehen. Es sind etwa 90 % der Lungenkapazität, die durch den schmalen Nasengang der Öffnung entgegenstrebt, um sich dann schlagartig auszudehnen. Bei der Passage durch das enge Ausatemloch wird dir Luft stark abgekühlt und so können wir sie in Form von Dampf über dem Wal ausmachen. Bei kalter Luft bildet sich eine richtige Wolke, aber hier in der 28o warmen Luft ist es eher ein Wölkchen, das da zu sehen ist. Wir halten einen Abstand von etwa 50 m und haben den Eindruck, dass die Wale sich nicht von uns bedrängt fühlen. Weit und breit ist es kein anderes Boot zu sehen.

Pottwale leben das ganze Jahr vor der Insel

In der Umgebung sehen wir noch weitere Wale an der Oberfläche. Sie scheinen sich hier wohlzufühlen, denn wie wir über die vielen folgenden Jahre beobachtet haben, leben sie hier in diesen Gewässern das ganze Jahr über. Sie haben hier keine Saisonzeiten, die andere Wale tausende Kilometer wandern lässt. Offensichtlich finden sie genug zu Fressen hier und lieben die geschützten Gewässer in Lee der Insel Dominica um ihre Jungen zu gebären und großzuziehen.

Das war vor 20 Jahren. Doch dann erreichte ein beginnender Boom auch diese kleine, eher unbekannte Insel in der östlichen Karibik.

Als der Walfang noch aktiv war, blieb das Interesse, Walen zu begegnen, auf die Walfänger beschränkt.

Aber der Ostpazifische Grauwal war schon seit 1946 von der Waljagd ausgenommen, nachdem man seine atlantischen Verwandten ja bereits Anfang des 18. Jh. ausgerottet hatte. Und so zogen diese Riesen jedes Jahr im Herbst von der Bering See in die Lagunen der Baja California. Und so ab 1970 begannen sich die ersten Touristen dafür zu interessieren. Von den Megastädten Kaliforniens bis zu den Überwinterungsgebieten der Grauwale an der Westküste Niederkaliforniens war es für schnelle Boote nur eine paar Tage Reise. So hatte man schon bald die Befürchtung, dass die kleinen Lagunen von Sportbooten überquellen und diese die Wale vertreiben würden.

Daher wurden bereits 1975 die ersten Stimmen im wissenschaftlichen Komitee der IWC laut, die Wale in den Lagunen besser zu schützen.
Es dauerte dann aber noch bis 1983 bevor die weltweit erste Walbeobachtungskonferenz mit dem Titel „Whales alive“ in Boston stattfand. Einer der Sponsoren dieser Veranstaltung war dann auch die IWC, die ihren damaligen Leiter zu diesem Thema entsandte. Zu aller Überraschung übernahm die mexikanische Regierung alle Empfehlungen und so entstand das weltweit erste Gebiet mit einem stark regulierten Walbeobachtungszugang.

Grauwale sind geschützt in der Bucht

Dass dies auch heute noch funktioniert, konnten wir bei mehreren Besuchen in den letzten Jahren feststellen. Die Fischer bekommen bestimmte Bereiche zugewiesen, in denen sie operieren können. Nähern sich Grauwale, wird der Motor abgeschaltet. Kommen die Grauwale noch näher, wird der Außenborder aus dem Wasser genommen und die Wale können nun mit dem Boot ohne Verletzungsgefahr agieren. Dies tun sie gerne und meistens hatten wir die Wale für uns allein. Die ansteigende Population der Ostpazifischen Grauwale zeigt, dass dies wohl der absolut richtige Weg war, den Walen ihr winterliches Zuhause zu bewahren.

Aber anderswo hat sich diese Erkenntnis leider nicht herumgesprochen. Auch wenn in 1994 das Wissenschaftskomitee der IWC allgemeine Regeln für das Whale watching verabschiedete, war das bestenfalls eine Empfehlung, der niemand wirklich folgen musste. Und so ist es auch heute noch. In manchen stark vom Walbeobachtungstourismus frequentierten Gebieten wurden von den Behörden Regeln aufgestellt, um die Störung für die Wale möglichst gering zu halten. Allein niemand hält sich wirklich daran, wie wir uns selbst immer wieder überzeugen konnten. Nicht die Boote nähern sich den Walen, sondern es ist eher umgekehrt, wie uns aufgrund unserer Nachfragen immer wieder versichert wurde. Was kann der arme Bootsführer denn dagegen unternehmen? Natürlich fließen Trinkgelder reichlicher, wenn der Wal 2 m neben dem Boot schwimmt als in 50 m Entfernung. Und auch die Weiterempfehlungen sind ja wichtig fürs Geschäft.

Und dieses Geschäft ist inzwischen ein richtig gutes!

Nach einer IFAW Studie von 2009 stiegen die absoluten Zahlen der Walbeobachter weltweit von 1998 bis zum Jahr 2008 um 4 Millionen auf nunmehr 14 Millionen. Diese generierten Einnahmen aus dem Ticketverkauf und den indirekten Einnahmen aus Transport-, Hotel- oder Restaurantkosten von über 2,1 Milliarden Dollar. Neuere, gesicherte Zahlen gibt es nicht aber man geht heute von 20 Millionen Walliebhabern aus, die jährlich für einen Umsatz von über 5 Milliarden US$ sorgen. Daran beteiligt sind 120 Länder mit etwa 500 Orten, von denen die Walbeobachtung angeboten wird.

So existieren inzwischen viele Empfehlungen für die Walbeobachtung, die an den Realitäten aber vielfach vorbeigehen. Zum einen lassen sie sich kaum durchsetzen, wenn sie zu „Walfreundlich“ sind, zum anderen verallgemeinern sie die komplizierte Welt der Wale zu sehr, um für alle Walarten den besten Weg zur Beobachtung zu finden. Hier wäre eine Differenzierung sehr von Nöten. So verhalten sich Blauwale anders als Buckelwale, Grauwale anders als Pottwale und Südkaper anders als Grönlandwale.
Da wir Pottwale im Allgemeinen und eine isolierte Population in der Ostkaribik im Speziellen seit über 20 Jahren intensiv erforschen, helfen hier die allgemeinen Regeln nur bedingt.

Pottwale sind Tieftaucher

Pottwale sind Tieftaucher. Sie bleiben etwa 45 min unter Wasser, legen dann eine 10 min Pause an der Oberfläche zur Sauerstoffaufnahme und Regeneration ein, bevor sie wieder abtauchen. Diese Pausen sind für die Wale überlebenswichtig. Kommen nun einzelne oder meistens mehrere lärmerzeugende Boote zu diesem Wal, gerät er, je nach Erfahrung mit solchen Booten, sehr leicht in Stress und versucht zu entkommen oder kürzt seine Pause ab, die dann zu einem kürzeren Tauchgang und weniger Nahrungsaufnahme führt.

Ganz schlimm wird es, wenn die Boote sich bis auf ein paar Metern einer säugenden Mutter nähern. Das ist natürlich besonders gut an die Touristen zu verkaufen. Aber die Mutter wird den Säugevorgang möglicherweise abbrechen und das Junge bleibt hungrig an der Oberfläche zurück.
Da wir hier vor der Karibikinsel Dominica nicht viele Pottwale haben, folgen die Boote nun, in Ermangelung weiterer Sichtungen, dem Jungtier bis die Mutter wieder auftaucht. Nun beginnt das Spiel von neuem und wieder bleibt ein nicht ausreichend genährtes Baby an der Oberfläche zurück.

Schwimmen mit Walen

Ganz schlimm für die Wale wird es, wenn auch noch „Schwimmen mit Walen“ Programme durchgeführt werden. Ein lukratives Geschäft für die Regierung, welche dafür spezielle Genehmigungen verkauft und auch für den Bootseigner, da die Touristen hier viel mehr bezahlen müssen, als beim „normalen“ Whale watching. Da die Schwimmer die Wale möglichst nah brauchen um sie Unterwasser sehen zu können, setzen sich die Boot in die Schwimmrichtung der Wale und lassen ihre Schnorchler von Bord. Da den Walen ihre Zugrichtung versperrt ist, müssen sie ihren Kurs ändern und reagieren ob der Menschen im Wasser oftmals panisch und versuchen zu fliehen. Der Taucher ist zufrieden, weil er den Wal ja gesehen hat, aber bei den Walen steht der Adrenalinspiegel bis zum Blasloch. An eine Regeneration zwischen den Tauchgängen ist nicht mehr zu denken.

Die Folgen?

In den über 20 Jahren unserer Pottwalstudien vor der Insel Dominica haben wir 10 Familien mit einer unterschiedlichen Zahl von Mitgliedern dokumentiert. Die Gruppengrößen sind bei dieser isolierten Population kleiner als in den meisten anderen Gebieten, in denen sich Pottwalfamilien aufhalten und damit auch fragiler. So konnten wir Geburten einzelnen Tieren zuordnen und das Mutter-Kind Verhältnis über die Jahre verfolgen. Abwanderungen pubertärer Jungbullen ebenso registrieren wie den Tod jugendlicher oder erwachsener Tiere. Da weibliche Pottwale ihr Leben lang bei ihrer Familie bleiben, kann das über einen längeren Zeitraum beobachtete Fehlen eines Tieres in der Gruppe mit dem Tod gleichgesetzt werden. Warum sie gestorben sind, lässt sich kaum feststellen. Ein totes Tier wird noch ein paar Tage an der Oberfläche treiben aber von der vorherrschendes südöstlichen Strömung aufs offenen Meer hinausgetrieben werden, bis es schließlich in die Tiefe versinkt. Nur zweimal, 2001 und 2011, wurden Wale an der Küste angeschwemmt.

Ein Wal ist gestorben, weil seine Fluke von einem Schiffspropeller abgetrennt war, der andere ist an einem halben Bierkasten, der sich im Schlund verklemmt hatte, gestorben. Durch unsere Erkenntnisse über all die Jahre ist es uns nun möglich die Populationsgröße ziemlich exakt bestimmen zu können. Daher können wir heute mit Sicherheit sagen, dass der Bestand in den letzten zehn Jahren um mindestens 30% gesunken ist.

Dies ist die gesicherte Kenntnis für die Walfamilien, die wir in diesem Zeitraum beobachten konnten. Hier konnten die Geburtenraten die Todesraten bei weitem nicht ausgleichen, zumal es, wie bei fast allen Wildtieren, eine hohe Säuglingssterblichkeit gibt. Allerdings kommt noch hinzu, dass wir einige der bekannten Gruppen schon seit Jahren nicht mehr vor der Insel gesichtet haben, nachdem wir sie in den Jahren davor regelmäßig hier beobachten konnten. Diese Beobachtung beschränkt sich nicht nur auf die zwei oder drei Monate, die wir uns hier im Jahr aufhalten. Denn die Wale stehen durch unsere Teilzeitmitarbeiter auf den Walbeobachtungsbooten ganzjährig im Fokus.

s. hierzu auch unseren Bericht: Drama um Pottwal Population vor Dominica

Dazu muss man wissen, dass sich aus sehr bescheidenen Anfängen um die Jahrtausendwende bis heute eine richtige Whale watch Industrie entwickelt hat. An „guten“ Tagen, wenn mehrere Kreuzfahrtschiffe angelegt haben, sind sieben, manchmal acht Boote unterwegs. Und wenn dann eines dieser Boote einen Wal gesichtet hat, drehen alle diese Boote auf den neuen Kurs. Damit aber nicht genug, denn da sind ja noch die „Walschwimmer“, die für ihr vieles Geld zu ihrem Recht kommen wollen und selbst die Fischer, die die Pottwale meistens nur vom Hörensagen kennen, fahren mit ihren kleinen, lauten Booten mit zwei, drei Touristen an Bord hinaus und nähern sich den Walen in völliger Unkenntnis ihres Verhaltens direkt von vorne und bis auf wenige Meter. Es steht daher zu vermuten, dass die nicht mehr gesehenen Walfamilien dem zunehmenden Stress nicht mehr gewachsen waren und sich neue Futter- und Aufenthaltsplätze erschlossen haben. Hierzu gibt es aber noch keine gesicherten Erkenntnisse.

Wie auch immer es sein mag, Tatsache ist, dass sich immer weniger Wale vor der Insel aufhalten und diese natürlich auch immer schwerer zu finden sind.
Erkenntnisse daraus zieht man auf der Insel allerdings nicht. Denn es ist wie bei den späten Walfängern: solange noch ein Tier zu sehen ist, wurde es früher von den Walfängern und wird es heute von den Touristen gnadenlos gejagt, wobei die Schuld weniger bei den vielen Walliebhabern als vielmehr bei einigen Bootsbesatzungen zu suchen ist, welche die Störung der Wale billigend in Kauf nimmt, um daraus persönliche Vorteile in Form von Trinkgeldern zu erzielen.

Pottwale e.V.

Seit Jahren versuchen wir nun, den Regierungsverantwortlichen und den Walbeobachtungsunternehmen die Einhaltung von Regeln schmackhaft zu machen, und haben sogar angeboten, die Kosten für das Training der Crews und das Monitoring der Einhaltung, für die ersten Jahre, über unseren gemeinnützigen Verein „Pottwale e.V.“ zu übernehmen. Bisher vergeblich, aber inzwischen bekommen wir Hilfe aus der Wissenschaft und aus dem Tourismusgewerbe. Der Druck wird also stärker und, wie wir erst vor ein paar Tagen erfahren haben, wird es im Sommer diesen Jahres zu einem ersten gemeinsamen Treffen von Regierungsmitgliedern, Walbeobachtungsunternehmen und deren Bootsführern, dem wissenschaftlichen „Dominica Sperm Whale Project“ und Vertretern von „Pottwale e.V.“ kommen, um Regeln und Training für Bootsbesatzungen zu etablieren und Möglichkeiten zur besseren Steuerung des Schiffsverkehrs im Einzugsbereich der hier lebenden Wale zu erörtern.
Hoffen wir also, dass wir bis zu einem Umsetzen der Ergebnisse noch nicht alle Wale totgeliebt haben.

Autoren: Andrea und Wilfried Steffen, 2017

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