Aus dem Buch „Wale – Hautnah"

Auszug aus dem Kapitel: Fremdgegangen

Die Fortpflanzung

Die Fortpflanzung der Meeressäugetiere ist nicht nur äußert kompliziert sondern muss auch jedes Mal erfolgreich sein, denn in der Regel können Pottwale nur alle vier bis sechs Jahre ein neues Kalb gebären.

Schwangerer Pottwal © Steffen

Bedenkt man nun, das nur 10 bis 15 % der geschlechtsreifen Männchen an der Fortpflanzung teilnehmen und wegen der langen Trag- und Stillzeit nur etwa 35 % der geschlechtsreifen weiblichen Pottwale zur Paarung bereit sind, ist die Schwangerschaftsrate mit die niedrigste im gesamten Tierreich.

Da kann es dann schon einmal passieren, dass vereinzelte Meeressäuger nicht ganz so wählerisch sind und sich nicht unbedingt mit ihren gleichen Artgenossen paaren.

Das bedeutet, Sie gehen fremd und das bleibt nicht immer ihr Geheimnis.

Finnwal oder Blauwal

Hybridwal © Barthelmess

Unter anderem entdeckt wurde solch ein Seitensprung im Jahre 1986 vom Kölner Walfanghistoriker Klaus Barthelmess, der sich zu dieser Zeit für mehrere Tage, zu Forschungszwecken auf einem isländischen Walfangschiff befand. Wie sich später herausstellte, sollte er auf dieser Reise eine Sensation entdecken und bei einem Besuch bei Klaus Barthelmess, im Frühling 2010, erläuterte er uns eindrucksvoll was sich an diesem Tag ereignete.

Dieses isländische Walfangschiff „Hvalur 9“ erlegte am 22. Juni 1986 nachts um 1 Uhr ca. 140 Seemeilen westlich von Island einen Wal. Es war ein weibliches Tier mit einer Länge von 21,3 Metern. Ursprünglich war man der Meinung einen Finnwal erlegt zu haben, war aber schon beim ersten Anblick erstaunt über den massigen Körperbau des Finnwals, die gewöhnlich sehr schlank sind.

Die Walfänger begannen sofort den Wal abzuflensen, Klaus Barthelmess aber schaute sich diesen Wal doch noch einmal genauer an und entdeckte dabei einige Unstimmigkeiten. Der Rücken war grau-schwarz und hatte die typische Farbe eines Finnwals, die Unterseite der Flipper waren weiß sowie der gesamte Bauch. In der Nähe des Nabels waren jedoch einige weiße Pigmentpunkte auf einem leichten grauen Untergrund zu sehen. Dies ist jedoch typisch für einen Blauwal, der genau diese Pigmentflecke auf seinem ganzem Körper aufweist. Das gesamte Farbmuster des Wals wurde als symmetrisch und einheitlich beschrieben, was beim Finnwal jedoch nicht zutrifft denn sein typisches Erkennungsmerkmal ist seine asymmetrische Farbzeichnung auf seinem Kopf welche sich bis zu den Barten fortsetzt. Die rechte Seite sowie die Mundhöhle und die Bartenplatten sind cremeweiß, während die linke Seite einheitlich grau ist.

Hybridwal © Barthelmess

Hybridwal Finne © Barthelmess

Finnwalkopf © Steffen

Die gesamte Kopfform hingegen war eindeutig die eines Finnwals, nämlich spitz und schlank, mehr V-förmig und nicht breit und flach und U-förmig wie der eines Blauwals. Die meisten Barten des Wals waren jedoch durchgehend schwarz gefärbt, was wiederum für einen Blauwal zutrifft.

Die Bartenplatten waren aber für einen Blauwal viel zu dünn und fein und als man sie heraustrennte, sah man im Ansatz einiger Barten noch eine hellere Färbung. Also war es doch ein Finnwal?

Finnwal Finne © Steffen

Kopfzerbrechen bereitete auch die Form und Größe der Rückenfinne. Sie hatte Merkmale der Rückenfinne eines Blauwales war jedoch mit 53 cm wesentlich größer als bisher gemessene Größen von 40 cm.

Finnwale können eine Rückenfinne von normalerweise bis zu 64 cm erreichen wobei ihre sichelförmige leicht nach hinten geneigte Form sich wesentlich von denen der Blauwale unterscheidet.

Der Hybridwal

So langsam entwickelte sich bei Barthelmess die Theorie, dass es sich hier weder um einen Finnwal noch um einen Blauwal handelte, sondern um eine Kreuzung zwischen beiden Walarten. Trotz später Stunde trommelte Barthelmess die anderen Wissenschaftler aus dem Bett und man entnahm Gewebeproben. Was sich im nach hinein als sehr wichtig herausstellte, denn anhand dieser Proben konnten später mit Hilfe von DNA Analysen wichtige Einzelheiten dieses außergewöhnlichen Tieres entdeckt werden.
Nach ersten äußerlichen Untersuchungen von Klaus Barthelmess und den anderen Wissenschaftler war man sich eigentlich schon sicher. Dieser erlegte Wal (Nr. 5 der Walfangsaison in 1986) war ein Hybridwal, oder wie die alten Walfänger zu sagen pflegten: ein Bastard.

Finnwalkopf rechts weiß © Steffen

Beim weiteren Verarbeiten des Wals wurden auch die Gebärmutter und die Eierstöcke routinemäßig untersucht. Dabei machte man noch die sensationelle Entdeckung, dass der Wal schwanger war, obwohl normalerweise Hybride als nicht fortpflanzungsfähig gelten.

Der Fetus von ca. 20 cm Größe konnte geborgen werden und wurde ebenfalls genetisch untersucht. 1991 erschien dann erstmals die wissenschaftliche Auswertung und Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse des Forschers R. Spilliart und seinen Kollegen vom Marine Research Institute in Reykjavik, Island für diesen Hybridwal.

Es wurde bestätigt des es sich bei diesem weiblichen Tier, in einem Alter von 7 Jahren, um die Kreuzung eines weiblichen Blauwales mit einem männlichen Finnwal handelte. Analysen des ungeborenen Kalbes zeigten, dass sich das Hybrid-Tier mit einem männlichen Blauwal gepaart hatte.

Die Eierstöcke

Umso erstaunter war man als man die Eierstöcke dieses Hybridwals untersuchte und in einem Eierstock bereits Merkmale eines veralteten und vernarbtem Gewebes fand, welches man Corpus albicans nennt und auf eine frühere Schwangerschaft hindeuten könnte. Während des Eisprungs einer Eizelle füllt sich das Follikel, aus dem das Ei ausgetreten ist, mit gelbem Gewebe und es entsteht der Gelbkörper, auch Corpus luteum (lat.corpus „Körper“ und luteus „gelb“) genannt. Dieser Gelbkörper hat die Funktion, die Hormone Östrogen und Progesteron zu bilden, die für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft sorgen. In den ersten 7–8 Schwangerschaftswochen wird das Progesteron fast ausschließlich vom Gelbkörper gebildet, danach übernimmt diese Aufgabe überwiegend die Plazenta. Erst nach der Geburt schrumpft dieser zu einem schmaleren zähen Gewebe und besteht dann ausschließlich nur noch aus Bindegewebe, welches durch narbige Umwandlung weiß erscheint und deshalb den Namen Weißkörper , Corpus albicans (lat. albicare „weiß" ) erhielt.

Kommt es nicht zu einer Schwangerschaft, geht der Gelbkörper im Eierstock schneller zugrunde. Die Vielzahl der umgewandelten Gelbkörper in Corpus albicans geben dann dem alternden Eierstock sein narbiges Aussehen. Diese Prozedur ist auch bei menschlichen Eierstöcken zu beobachten, denn auch bei Frauen in den Wechseljahren zeigt sich in den geschrumpften Ovarien dieses vernarbte Bindegewebe.

Aus dem Handbuch der Seefischerei Nordeuropas, Band XI Heft 6, aus dem Jahre 1955 fanden wir auch einen interessanten Hinweis aus der früheren Walfangzeit, denn die alten Walfänger ermittelten das Alter und die Geschlechtsreife der Wale unter anderem anhand der Ovarien. Schon eine äußere Betrachtung der Eierstöcke, ihrer Größe, sowie Gewicht und die reifenden Follikel zeigten den alten Walfängern die Geschlechtsreife an.

Auch anhand der Anzahl der Corpora albicantia zogen sie Rückschlüsse auf das Alter der Wale. Zu Zeiten des aktiven Walfangs hatten die Walfänger natürlich ausreichend Untersuchungsmaterial der getöteten Tiere. Organe und Eingeweide konnten gemessen und gewogen werden und so berichten die Autoren dieses Buches, dass die Eierstöcke bei geschlechtsreifen Walen bis zu 40 cm lang sein können, im Gegensatz zu jüngeren noch nicht geschlechtsreifen Tieren deren Eierstöcke nur Handgroß sind.

Die Größe einer Eizelle wurde mit durchschnittlich 4,5 – 5,4 mm angegeben, während die menschliche Eizelle zum Vergleich nur 0,11 – 0,14 mm groß ist und gerade noch mit bloßem Auge sichtbar ist. Das Gewicht der Eierstöcke betrug bei einigen Walen 258 Gramm, während die menschlichen Eierstöcke gerade mal 10-14 Gramm wiegen. Und obwohl uns dieses Gewicht und diese Länge als riesig erscheint sind sie im Verhältnis zur Gesamtlänge im Größenvergleich mit den menschlichen Eierstöcken einer geschlechtsreifen Frau, deren Länge ca 2,5 bis 5 cm beträgt, nicht überproportioniert.

Der Gelbkörper

Beeindruckend hingegen sind die Angaben der Größe und Gewichte der Gelbkörper die man bei trächtigen Weibchen gefunden hat. 10 Zentimeter groß und 1,5 bis 12 Kg wurden bei den Blauwalen gewogen, beim Finnwal sind es Werte von 1 bis 10 Kg und beim Pottwal 0,3 bis 1,2 Kg, alleine ein einziger Gelbkörper. Das Hormon aus diesen Gelbkörpern, das Progesteron, wurde ebenfalls mit verwertet und durch Einfrieren konserviert oder durch Formalin haltbar gemacht. Und die Ausbeute an diesen wirksamen Hormonen war beträchtlich, denn aus dem Gelbkörper eines einzigen Wales konnte die gleiche Hormonmenge wie aus den Gelbkörpern von etwa tausend Schweinen gewonnen werden.

Hybride Bartenwale

Erstaunlicherweise findet man bei den Aufzeichnungen der alten Walfänger auch schon Hinweise auf Hybridwale.

1887 berichtet A.H. Cocks bereits schon von 6 Hybridwalen entlang der Küste Lapplands.

Aber erst ein Jahrhundert später gibt es den ersten wissenschaftlichen dokumentierten Fall anhand von Molekular Analysen. 1970 berichtet der Forscher Doroshenko von einem Hybrid zwischen einem Blau und Finnwal welcher vor Kodiak Island im Golf von Alaska 1965 gefangen wurde.

Mittlerweile gibt es insgesamt 11 bestätigte Hybride von Bartenwalen aus der Wildnis, die ausschließlich während der aktiven Walfangzeit gefangen wurden. In allen Fällen handelte es sich immer um Kreuzungen zwischen Blau und Finnwalen.

Drei Hybride, ein weibliches und zwei männliche Tiere wurden zwischen 1983 und 1989 während der isländischen Walfangzeit gefangen. Wobei der aufsehende erregende Fall sicherlich der entdeckte Hybrid von Klaus Barthelmess darstellt der später von Spillart ausführlich beschrieben wurde. 

Blauwal Farbe © Steffen

Denn dieser Hybrid ist der bisher einzig bekannte Fall wo eine Schwangerschaft in freier Wildbahn nachgewiesen werden konnte.

In der Natur sind Kreuzungen zwischen verschiedenen Arten sehr ungewöhnlich und selten und wenn, dann nur möglich bei Tieren mit ähnlichen genetischen Merkmalen.

Das es zur Hybridisierung zwischen den größten lebenden Tieren auf Erden kommt ist eine Sensation. Wissenschaftler gehen davon aus, dass dies auch nur möglich ist da diese beiden Arten, der Blau und der Finnwal, eine hohe Übereinstimmung des gleichen Chromosomensatzes einer Zelle aufweisen, welches durch Molekulare Karyotypisierung nachgewiesen werden konnte.

Hybride Zahnwale

Doch nicht nur bei den Bartenwalen sind Kreuzungen bei den Meeressäugern möglich. Die meisten Hybride sind eigentlich unter den Zahnwalen bekannt, wobei die Kreuzung innerhalb verschiedener Delfinarten die größte Anzahl darstellen.

28 bekannte Fälle von Hybrid Delfinen, in freier Wildbahn und in Gefangenschaft, sind bis heute bekannt, wobei das erste mal 1940 von einem Hybrid Delfin an der Westküste Irlands in der Blacksod Bay berichtet wird, wo mehrere Tiere strandeten.

In vielen Fällen wurden die großen Tümmler als ein Elternteil identifiziert die sich z.B. mit Fleckendelfinen, Rissodelfinen, Langschnauzigen Gemeinen Delfinen oder Schwarzdelfinen paarten.

Fleckendelfin © Steffen

Grund dieser Kreuzungen in freier Wildbahn ist sicherlich das enge soziale Zusammenleben der Delfine untereinander. Sexuelle Spielereien, Berührungen und der Geschlechtsverkehr sind bei Delfinen ein großer Teil davon.

Vor den Bahamas wurden mit Unterwasserkameras Fleckendelfine und Große Tümmler beobachtet die in einer großen Schule zusammen lebten. Fast 50% der männlichen großen Tümmler waren die Initiatoren der sexuellen Kontakte mit Fleckendelfinen.

Mit zunehmender Haltung von Delfinen in Gefangenschaft stieg auch die Anzahl der Hybride und ist damit eine Einmischung durch uns Menschen. Ein Ergebnis hiervon berichtet von einer außergewöhnlichen Kreuzung eines großen Tümmlers und eines Guiana Delfines, die in freier Wildbahn niemals zusammen leben. Die Guiana Delfine leben ausschließlich in Buchten, seichten Gewässern und sogar Flussmündungen an der westlichen Atlantikküste vor Süd- und Zentral- Amerika. Im Aquarium Islas del Rosario in Kolumbien wurde im Mai 1996 ein weiblicher Hybrid Delfin Namens Luna geboren, der jedoch schon leider im Oktober 2002 verstarb. Die Eltern waren ein männlicher Guiana Delfin und ein weiblicher großer Tümmler.

Hybride Wal und Delphin

Der Spektakulärste Fall ist sicherlich der „Wholphin“. Der Name setzt sich zusammen aus dem englischen Wort Whale und Dolphin. Dieser Wholphin ist eine seltene Kreuzung zwischen einem Kleinen Schwertwal und einem Delfin, dem großen Tümmler. Bei diesen beiden Tierarten handelt es sich zwar um unterschiedliche Arten, doch werden sie von Wissenschaftlern derselben Unterfamilie zugeordnet.

Wholphin © Edler

Wholphin © Edler

Der erste in Gefangenschaft geborene „Wolphin" wurde am 15 Mai 1985 im Sea Life Aquarium in Hawaii geboren. Die Eltern waren der weibliche Delfin Namens Punahele und der männliche Kleine Schwertwal Namens Tanui Hahai. Das Baby bekam den Namen Kekaimalu war weiblich und der Star des Aquariums. Im Juni 1990 sorgte sie für großes Aufsehen, denn bereits im Alter von 5 Jahren gebar sie ihr erstes Baby. Dieses verstarb allerdings aber schon nach ein paar Tagen, denn eigentlich war Kekaimalu auch noch viel zu jung um eigene Nachkommen zu gebären.

Ein Jahr später im November1991 gebar sie eine Tochter namens Pohaikealha, die die ersten Jahre gut überstand, dann aber mit 9 Jahren verstarb. Am 23. Dezember 2004 bekam Kekaimalu mit 19 Jahren ihr dritte Tochter namens Kawili Kai, die von einem männlichen großen Tümmler gezeugt wurde und somit zu drei viertel die Erbanlagen eines großen Tümmlers besitzt.

Selbst verschiedene Schweinswalarten, wie der gewöhnliche Schweinswal und der Weißflankenschweinswal treiben es untereinander, und in der Disko Bucht in West Grönland fand man im Jahre 1990 sogar ein Skelett eines Hybridwals der von einem Narwal und einem Beluga stammte.

Doch ob nun Wolphin oder Bastard, sie nicht reinrassig und durch Fremdgehen entstanden sind, ungewöhnlich, faszinierend und damit einmalig sind sie sicherlich.

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  • Pottwale - Im dunklen Blau des Meeres
  • Wale Hautnah - Das Buch
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