Die Pottwale vor Dominica
Nachdem wir schon seit 15 Jahren intensiv Studien über das Verhalten und die sozialen Strukturen dieser Wale betreiben, möchten wir hier einen neuen Zwischenstand vorstellen.
In unserem Buch „Pottwale – Im dunklen Blau des Meeres“ haben wir in 2003 bereits ausführlich über die Pottwale vor Dominica berichtet. Während wir bei den Recherchen für dieses Buch in erster Linie auf eigene Beobachtungen angewiesen waren, die sich aus zeitlichen Gründen nur auf wenige Wochen pro Jahr beschränkten, können wir seit Einrichtung unserer Forschungsstation in 2004 auf ganzjährig gesammeltes Material zurückgreifen. Auch ist es gelungen andere Organisationen in die Datensammlung einzubeziehen und so auch Beobachtungen der an Dominica angrenzenden Inseln zu berücksichtigen.
Während das Verhalten und die sozialen Strukturen der Pottwale im östlichen Pazifik und auch im Golf von Mexiko durch Forschungsprogramme von Universitäten und großen Institutionen sehr gut bekannt sind, ist das Wissen um die Pottwale in den Kleinen Antillen sehr beschränkt. Hier haben in der Vergangenheit nur wenige und zumeist kurzzeitige Forschungen stattgefunden. Daher zählen unsere Studien dieser Tiere zu den längsten die hier jemals durchgeführt wurden.
Pottwale sind nur schwer zu beobachten. Die meiste Zeit ihres Lebens verbringen sie unter Wasser. Zwischen den Tauchgängen gibt es nur kurze Pausen an der Oberfläche. Erschwerend kommt hinzu, das der Blas, die komprimierte Ausatemluft der Wale, in der warmen Luft der Karibik nur schwer auszumachen ist, da er hier viel weniger kondensiert als in kälteren Gegenden. Ein wichtiges Hilfsmittel zum Auffinden der Wale sind daher Hydrophone. Dies sind wasserdichte Mikrofone, die entweder ungerichtet Unterwassergeräusche von allen Seiten aufnehmen oder gerichtet in eine bestimmte Richtung lauschen. Mit den im Laufe der Jahre gesammelten Erfahrung ist es uns so möglich, die Wale auch Unterwasser zu verfolgen und den Zeitpunkt des Wiederauftauchens zu bestimmen.
Die Pottwale in der östlichen Karibik bilden eine kleine und isolierte Population, die vermutlich keine Verbindungen zu Pottwalen aus anderen Bereichen des Nordatlantiks hat. Seit 1981 werden in diesem Gebiet Daten von Pottwalen gesammelt. Unter Einbeziehung dieser Daten konnten bisher 419 Pottwale identifiziert werden, aber nur 42% dieser Wale wurden mehr als einmal beobachtet. Von den ältesten zur Verfügung stehenden Daten aus 1984 konnten nur zwei in den letzten Jahren erneut identifiziert werden.
Pottwale leben in mehr oder minder großen Gruppen. 17 soziale Einheiten wurden im Beobachtungszeitraum identifiziert. Die durchschnittliche Größe einer solchen Familie besteht aus 6,75 Tieren. Diese. Gruppen sind im Vergleich zu den sozialen Einheiten in anderen Meeren eher klein. (Die von uns beobachteten Pottwale vor Sri Lanka im Indischen Ozean hatten immer zwischen 15 und 30 Mitglieder). Von diesen Familien waren durchschnittlich nur weniger als zwei an der Oberfläche zu sehen, während sich die anderen Unterwasser aufhielten. Der Mittelwert der Tauchgänge und Oberflächenpausen, vom Abtauchen bis zum erneuten Abtauchen, betrug 57 Minuten und lag zwischen 40 und 70 Minuten. Die Entfernung zur Küste bei diesen Tauchgängen betrug durchschnittlich etwas über 9 km, wobei die kürzeste Entfernung einen halben Kilometer und die Weiteste 19 km betrug. Die Wassertiefe betrug im Schnitt 3000 Meter und reichte von 1500 bis 4500 Meter.
Diese 17 bekannten Familien sind in der Gruppengröße und der Zusammensetzung höchst unterschiedlich. Die kleinste Einheit bildeten zwei Weibchen mit ihre Jungen, die Größte besteht aus insgesamt 11 Tieren. Stellvertretend für alle anderen Familien möchten wir die Ergebnisse unserer Beobachtungen an der „Group of Seven“ Familie vorstellen. Diese Gruppe haben wir in jedem Jahr ein- oder mehrmals in den Gewässern vor Dominica angetroffen. Auch verfügen wir über Daten aus Guadeloupe für diese Sozialeinheit.
Die „Group of Seven“ besteht derzeit aus fünf ausgewachsenen Weibchen, die bereits seit mindestens 1995 bekannt sind. Ende 1999, Anfang 2000 wurde „Scar“ als Sohn von „Pinchy“ geboren. Er war ständig mit seiner Mutter zusammen, bis diese in 2007 ihren Sohn „Tweak“ gebar. „Scar“ hielt sich zwar weiterhin in der Gruppe auf, aber seine Bindung an „Pinchy“ war nicht mehr so stark. Inzwischen ist er 12 Jahre alt und etwa 13 m lang. Er verlässt immer häufiger die Gruppe, um mit anderen halbstarken Männchen umherziehen. Das solche heranwachsenden, noch nicht geschlechtsreifen Männchen eigene Gruppen bilden,, war aus anderen Forschungsprogrammen bekannt. Wir konnten dies nun auch zum ersten Mal in Dominica beobachten und mit Über- und Unterwasserfotos dokumentieren.
Ende 2004 wurde „Thumb“ als Sohn von „Fingers“ geboren. Dieses Baby ist aber wohl gestorben, denn wir haben es nach 2005 nie wiedergesehen. Wahrscheinlich ein ähnliches Schicksal erfuhr das erwachsene Weibchen „Puzzle Piece“, welches wir 2006 zum letzten Mal identifiziert haben. Erfolgreich aufgezogen wurden dagegen „Enigma“, 2005 als Sohn von „Mysterio“ geboren, der bereits erwähnte „Tweak“ und der/die noch geschlechtslose „Digit“, welches im April 2011 von „Fingers“ zur Welt gebracht wurde.
Die lange, mindestens 7 jährige Entwöhnungszeit bei „Scar“ von seiner Mutter konnte auch in anderen Gruppen beobachtet werden. Danach scheint diese lange Abhängigkeitsphase eher die Regel als die Ausnahme zu sein. (Im Vergleich dazu: Blauwale trennen sich bereits nach sieben bis acht Monaten von ihren Jungen).
Immer wieder sehen wir auch einzelne Tiere, die sich nur von Zeit zu Zeit in den festen Gruppen aufhalten. Möglicherweise haben sie ihre Familien verloren und schließen sich nun, immer zeitlich begrenzt, anderen Gruppen an.
Im Gegensatz zu den halbstarken Männchen sind geschlechtsreife, ausgewachsene Bullen Einzelgänger, die aber regelmäßig vor Dominica gesehen werden. Seit dem Jahr 2000 wurden 31 Bullen gesichtet, die meisten davon aber nur ein einziges Mal und an einem einzigen Tag. Sechs Männchen wurden an mehreren Tagen gesichtet. Ein Tier sogar an 34 Tagen im selben Jahr. Lediglich zwei Bullen wurden in verschiedenen Jahren gesehen. Einer in zwei (2001 und 2004) und der Andere in drei Jahren (2000, 2008 und 2010).
Sind Männchen vor der Insel, ziehen sie meistens zwei, in manchen Fällen auch drei Gruppen zusammen. Beim umherziehen mit den Gruppen zeigen sie das gleiche Verhalten wie die Gruppen auch. Es wird nach Nahrung getaucht und dazwischen werden kurze Oberflächenpausen eingelegt. Die Paarungen finden wohl in der Zeit der sogenannten „Social Meetings“ statt. In dieser Zeit, die etwa zwei bis vier Stunden dauert, bleiben die Wale an oder in der Nähe der Oberfläche und suchen den Körperkontakt untereinander.
Da wir von mindestens drei Tieren aus unserer „Group of Seven“ wissen, dass sie gestorben sind, zwei weitere mit tödlichen Verletzungen an die Küste getrieben wurden und „Pinchy“ vor zwei Jahren eine schwere, durch eine Schiffschraube verursachte Verletzung erlitt, kämpfen wir seit Jahren für eine Schutzzone als Rückzugsgebiet für diese freundlichen, aber sensiblen Riesen, in der keinerlei Schiffsverkehr, auch nicht von Walbeobachtungs- oder Privatbooten stattfinden soll. Dafür haben wir den gemeinnützigen Verein „Pottwale e.V.“ gegründet. Darüber sammeln wir Spenden und nehmen Fördermitglieder auf, um unsere Kampagnen finanzieren zu können und unser kleines Forschungszentrum weiterhin betreiben zu können. Ein großer Erfolg für unsere Ziele war der von der Yves Rocher Umweltstiftung vergebene Preis „Trophee de Femmes“, der letztes Jahr für das Projekt vergeben wurde.
Auch der Erlös unseres neuen Buches „Wale hautnah“ (www.wale-hautnah.de), in dem wir unsere Erlebnisse mit den Pottwalen vor Dominica und unsere „hautnahen“ Begegnungen mit Blau- Finn-, Grau- und Buckelwalen vorstellen, unterstützt durch atemberaubende Fotos, kommt dem Projekt zugute.