Pottwale im Mittelmeer weiterhin stark gefährdet
Nach einer Studie des Tethys Research Institute in Mailand sind Pottwale im Mittelmeer weit stärker gefährdet als bisher angenommen. Die Pottwale im Mittelmeer unterscheiden sich genetisch von ihren Verwandten im Atlantik.
Ihre Lebensräume sind durch die Topografie des Mittelmeeres darüber hinaus sehr eingeschränkt. So stehen sie zu Recht auf der Roten Liste gefährdeter Spezies. Der Bestand wird auf weniger als 2500 Individuen geschätzt. Zu den Gefahren gehören vor allen Dingen die direkt vom Menschen verursachte Sterblichkeit wie Beifang und Schiffskollisionen. Darüber hinaus haben die Wale mit dem zunehmenden Schiffsverkehr, der Lärmverschmutzung, das Einleiten von Plastikabfällen, unverantwortliche Walbeobachtungstouren, die Abnahme ihrer Beutetiere und nicht zuletzt mit dem Klimawandel zu kämpfen. Bis heute gibt es aber keine wirkungsvollen multilateralen Abkommen zum besseren Schutz der Wale im gesamten Mittelmeerraum.
Walfangaktivitäten, wie in anderen Weltmeeren, gab es im Mittelmeer nie im größeren Umfang. Eine Ausnahme bildet dabei die Straße von Gibraltar in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, als die Wale von den Walfängern im Atlantik bis hierher verfolgt wurden. Auch wurden Wale getötet, wenn sie zu nahe an die Küsten gerieten, der Explosivfischerei zum Opfer fielen oder strandeten.
Heute sehen sich die Wale anderen Gefahren ausgesetzt. Als um 1970 die Treibnetzfischerei im großen Stil begann, wurde von 229 Pottwalen berichtet, die sich bis 2004 tödlich in den Netzen verfangen hatten. Dies stellt wohl die absolute Minimalzahl dar, da man davon ausgehen muss, dass viele Wale, die sich tödlich verletzten, entweder zum Meeresboden sanken und nie registriert wurden, oder an entfernten Küsten strandeten. So wurden allein in den Jahren 1986 bis 1990 von 347 Walen berichtet, davon 56 Pottwale, die an den Küsten Italiens gestrandet sind. 83% davon wiesen Fragmente von Netzen oder charakteristische Zeichnungen von Netzen auf der Haut aus. Seit 2002 ist die Treibnetzfischerei im Mittelmeer durch internationale Abkommen verboten. Aber von Fischern aus Ländern wie Algerien, Italien, Marokko oder der Türkei werden die Treibnetzte weiterhin illegal eingesetzt und so gibt es auch heute noch Strandungen, die direkt mit dieser Art der Fischerei in Verbindung gebracht werden können.
Die enorme Zunahme des Schiffsverkehrs von Frachtern, Kreuzfahrtschiffen, Fähren, Luftkissenbooten, Tankern und Schnellfähren stellen ein enormes Gefährdungspotential dar. So wurden an 6% der 111 gestrandeten Wale in Italien zwischen 1986 und 1999 tödliche Verletzungen durch Schiffskollisionen festgestellt und weitere 6% von 61 Walen die in diesem Zeitraum fotografiert wurden, weisen Verletzungen durch Schiffskollisionen auf.
Die Einleitung von Plastik (bewusst oder zufällig) hat durch das rapide Anwachsen von Gewächshausplantagen bedrohliche Ausmaße angenommen. Früher wurden gestrandete Wale nicht näher untersucht, aber seit man in jüngerer Zeit begonnen hat, genauere Ursachen für Strandungen zu ermitteln, ist das Problem bewusst geworden, da man in den Speiseröhren, Mägen und im Verdauungstrakt der untersuchten Pottwale erhebliche und teilweise tödliche Konzentrationen von Plastikrückständen gefunden hat.
Auch chemische Verunreinigungen sammeln sich über die Nahrungskette in großen und langlebigen Tieren. So hat man in den Pottwalen des Mittelmeeres hohe Konzentrationen von Chrom gefunden. Inwiefern diese chemischen Stoffe Einfluss auf die Gesundheit der Wale haben, ist aber noch nicht näher bestimmbar.
Eine weitere, erhebliche Bedrohung für die Wale im Allgemeinen und die auf Echolokation angewiesenen Pottwale im Besonderen ist die rapide Zunahme des Unterwasserlärms. Dieser wird nicht nur durch den enormen Schiffsverkehr verursacht, sondern wird erheblich verstärkt durch seismische Untersuchungen auf der Suche nach Gas und Öl, durch militärische Schiffssonare und die weiterhin vorhandenen illegale Dynamitfischerei, vor allem im östlichen und südlichen Mittelmeer, also den Hauptverbreitungsgebieten der Pottwale. Darüber hinaus betrifft diese Art des Unterwasserlärms auch die Beutetiere der Pottwale, wie Tiefseekalmare und Tiefseefische, die direkt oder indirekt durch solche Aktivitäten getötet oder verwundet werden.
Auch unverantwortliches Beobachten der Wale auf kommerzieller Basis führt zu Störungen der Wale und kann sie zum Verlassen ihres Aufenthaltsgebietes veranlassen. Vor allem von Frankreich und Italien aus schwärmen Massen von Booten zur Walbeobachtung aus. Viele davon halten sich nicht an die gemeinhin gültigen Kriterien zur Annäherung an die Wale. Diese versuchen sich durch Not- oder Flachtauchgänge dieser Verfolgung zu entziehen. In der Folge fressen diese Wale weniger, da ihnen weniger Zeit zur Verfügung steht. Eine Abnahme der Pottwalbestände in diesen Gebieten konnte bereits registriert werden
Last but not least wird auch der Klimawandel als Bedrohung dargestellt. Hier ist aber eine Langzeitbeobachtung nötig, da die Pottwale in ihrer Millionen von Jahren dauernden Entwicklungsgeschichte immer wieder solchen Klimaschwankungen ausgesetzt waren. Ihre heutige Existenz beweist aber, dass sie sich damit immer wieder arrangiert haben.
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass alleine die Durchsetzung bestehender, aber nicht verfolgter Regularien (Treibnetze, Dynamitfischerei, Walbeobachtung) schon einen erhebliche Verbesserung der Situation ergeben würde. Des Weiteren muss die Einleitung kontaminierter Stoffe und vor allem des enorm gestiegenen Plastikmülls besser kontrolliert und unterbunden werden. Schwieriger wird es bei der Durchsetzung von geänderten Schifffahrtsrouten, eine Herabsetzung der Geschwindigkeit und der besseren Beobachtung der Meeresoberfläche durch Schiffsbesatzungen, um Kollisionen in den Hauptlebensräumen der Wale zu verringern. Dies kann nur durch internationale Abkommen erreicht werden. Allerdings ist für die Vorgaben als Grundlage solcher Beschlüsse ein weit häufiger durchgeführtes Monitoring der Wale notwendig, um ein besseres Verständnis über die Gewohnheiten, Migrationsrouten und der Konzentration von Walgruppen in einzelnen Gebieten zu erlangen.
Quelle: AQUATIC CONSERVATION: MARINE AND FRESHWATER ECOSYSTEMS Aquatic Conserv: Mar. Freshw. Ecosyst. 24(Suppl. 1): 4–10 (2014) Published online 4 November 2013 in Wiley Online Library (wileyonlinelibrary.com). DOI: 10.1002/aqc.2409