1904 – Schicksalsjahr der Antarktiswale

Als am 17. Januar 1775 kein geringerer als James Cook, auf der Suche nach dem sagenumwobenen Südkontinent, seinen Fuß auf weit im Süden liegendes Land setzte, glaubte er zunächst, diesen nun endlich gefunden zu haben.

Er musste dann aber feststellen, dass er sich nur auf einer kleinen Insel befand, die er zu Ehren King George III., South Georgia nannte. Die mitgereisten Wissenschaftler registrierten einen Überfluss an Vögeln, Robben und großen Walen. Weitere Schiffe folgten und bestätigten die Berichte der Cook Expedition. Die Kunde von gewaltigen Walherden drang auch zu den Walfängern im leergefischten Nordatlantik. Aber es war schon schwierig genug von England oder Norwegen in der Arktis zu jagen, wie sollte so was am anderen Ende der Welt funktionieren?

Doch im Jahre 1892 machte sich ein junger Kapitän aus Sandefjord auf, um die Antarktis zu erforschen. Sein Name: Carl Anton Larsen. Er wurde der Pionier der Südlandfahrer. Geboren in 1860 hatte er mit seinen 32 Jahren schon manche Fahrt in die Arktis und die Barentssee, mit der Jagd auf Bartenwale und Robben, auf dem Buckel, bevor er sich mit Unterstützung norwegischer Kaufleute aufmachte, die Antarktis zu erkunden.

Im November passierte Larsens Schiff mit Namen „Jason“ Südgeorgien

Er fuhr weiter in den Osten der Antarktischen Halbinsel. Hier entdeckte er zahlreiche Blau- und Finnwale. Da sein Schiff aber nicht für die Jagd auf die schnellen Wale eingerichtet war, erbeutete er zahlreiche Robben, die seine Fahrt auch ohne Wale zu einem Erfolg machte. Er kehrte in den nächsten Jahren immer wieder in die Antarktis zurück und verdiente sein Geld mit der Robbenjagd. Jedoch registrierte er voller Sehnsucht die zahllosen Furchenwale in den Gewässern. Um diese Wale jagen zu können, brauchte man eine Land basierte Station, wo die Wale verarbeiteten werden konnten.

Als Kapitän der „Antarctic“, auf der von Otto Nordenskjöld geführten Expedition zur Kartographierung der Antarktis, entdeckte er auf Südgeorgien einige geschützte Buchten, die für solch eine Station geeignet erschienen. Doch das Schiff wurde im Weddellmeer von Treibeis zerdrückt und sank. Larsen und seine Crew mussten so einen antarktischen, qualvoll kalten und stürmischen Winter auf Paulet Island verbringen, wohin sie sich gerettet hatten. Im nächsten Frühjahr wurden sie von einem argentinischen Marineschiff gerettet und nach Buenos Aires gebracht. Die Erzählungen Larsens von den großen Walbeständen veranlasste eine Gruppe von argentinischen Geschäftsleuten, die Compania Argentina de Pesce zu gründen und Larsen zu beauftragen eine Walverarbeitungsstation auf Südgeorgien zu errichten. Im September 1904 machte sich Larsen mit dem neugebauten Walfänger „Fortuna“ und den schon betagten Seglern „Louise“ und „Rolf“ auf, um die Walfangstation Grytviken in der Cumberland Bay zu gründen.
Die Schiffe erreichten Südgeorgien am 16. November 1904. Bereits an Heiligabend wurde der erste Wal verarbeitet.

Der norwegische Name Grytviken bedeutet so viel wie „Kessel- oder Topfbucht“ und bezieht sich auf die Töpfe, die Robbenfänger zum Trankochen benutzt hatten und die man dort verlassen vorfand. Die Station war von Anfang an ein wirtschaftlicher Erfolg. Obwohl im ersten Jahr nur ein Walfangschiff zur Verfügung stand, wurden bereits fast 200 Wale erlegt. Der Erfolgs Larsens zog Investoren magisch an und es wurden weitere Walfangstationen in Südgeorgien und später auch in anderen Gebieten der Antarktis gegründet. In der ersten Zeit des Walfangs um Südgeorgien herum, jagte man nur Buckelwale. Später wurden alle Walarten verfolgt und das Fanggebiet bis auf 300 Kilometer vor der Küste ausgedehnt. Die Wale wurden harpuniert, mit Pressluft gefüllt und schwimmend zur Verarbeitung zur Station gebracht.

Soviel zur Vorgeschichte der Walfangstation Grytviken.

Im November 2012 hatten wir die Gelegenheit, Südgeorgien und damit auch Grytviken mit dem Schiff zu besuchen. Von den Falkland Inseln kommend, passierten wir zunächst die antarktische Konvergenzzone. Hier fließt kaltes Wasser aus der Antarktis nordwärts und wärmeres Wasser aus dem Norden südwärts. Am Zusammenfluss dieser beiden Systeme, etwa auf dem 50. Breitengrad, wird die Grenze des Südpolarmeeres markiert. Hier kommt es häufig zu dichtem Nebel und die Temperatur des Oberflächenwassers sinkt abrupt auf unter 2o C.

So erleben wir, einen milchig trüben Morgen mit einer Sichtweite von 100 m oder darunter. Da morgen die erste Anlandung auf Südgeorgien bevorsteht, müssen wir dem Bio-Security-Act erhöhte Aufmerksamkeit widmen. Durch diese Vorschriften soll verhindert werden, dass fremde Organismen auf die Inselgruppe gebracht werden. Wir treffen uns ab 15 Uhr am Side Gate. Nachdem bereits die gesamte Crew ihre Anlandungskleidung und mitgeführte Rucksäcke, Taschen, Stative usw. gereinigt hat, steht diese Prozedur nun allen Gästen bevor. Dann steht endlich die erste Anlandung in Südgeorgien auf dem Programm. Um 5:30 Uhr fällt der Anker vor Salisbury Plain im Nordwesten der Hauptinsel. Wir landen bei moderatem Schwell an einem Kieselstrand. Schon vom Zodiac aus können wir die riesige Kolonie der Königspinguine sehen, die sich in diesem, von Gletscherbächen und Auswaschungen durchzogenen Tal, weit die Hügel hinauf ausbreitet. Am Strand angekommen müssen wir uns erst zwischen den zahlreichen Pelzrobbenbullen, die schon mal ihren Claim für die Paarungszeit im Dezember abstecken, einen Weg bahnen.

Pelzrobben oder auch südliche Seebären genannt, wurden früher stark bejagt

Die Kolonien haben noch am Ende des 18. Jahrhunderts mehrere Millionen Tiere umfasst. In den 1790er Jahren begannen die Raubzüge der Robbenjäger. Im Südsommer 1800/1801 wurden allein auf Südgeorgien 112.000 Seebären erschlagen. Neben den Robben ist eine riesige Kolonie von Königspinguinen die Hauptattraktion dieser Anlandung. Hier stehen mehr als hunderttausend Tiere zusammen. Die Erwachsenen paaren sich hier und brüten auf ihren Eier, während zahllose Jungtiere aus der letzten Brutsaison darauf warten, dass ihr braunes Jungvogelkleid dem finalen Federkleid weicht, damit sie endlich im Meer auf die Jagd gehen können.

Wir lichten den Anker und fahren etwa 25 Seemeilen in die Fortuna Bay. Sie ist eine der vielen lang gestreckten Buchten im Nordosten der Insel. Im Westen der Bucht kauerten am 20. Mai 1916 drei ausgemergelte Gestalten im Gras: Kapitän Worsley, der 2. Offizier Crean und der Boss, Ernest Shackleton, nachdem sie von ihrer Anlandungsstelle in der Haakon Bay den Gebirgsrücken der Insel überquert hatten. Hinter sich hatten sie bereits eine zweiwöchige Fahrt mit einem offenen Segelboot vom 1500 km entfernten Elephant Island, wohin sich seine Mannschaft nach dem Untergang ihres Expeditionsschiffes „Endurance“ gerettet hatten. Shackleton ließ seine Männer fünf Minuten schlafen, ehe er sie wieder antrieb, den noch 7 km langen Weg zur Walfangstation Stromness zurückzulegen, wo er für seine zurückgebliebenen Männer Hilfe herbeiholen wollte.

Am Nachmittag fahren wir in der langsam beginnenden Dämmerung in die Stromness Bay ein. Hier waren in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts drei Walfangstationen angesiedelt: Stromness, die Namensgeberin der Bucht war von 1907 bis 1961 in Betrieb, Husvik ebenfalls in dieser Zeit und die britische Leith Station von 1909 bis 1966. Wegen des zunehmenden Verfalls der Stationen und den damit verbundenen Sicherheitsrisiken, können sie heute nicht mehr besucht werden. So fahren wir langsam an diesen Geisterstädten vorbei und erreichen bald darauf die Cumberland Bay, wo in Sichtweite zur ehemaligen Walfangstation Grytviken der Anker fällt. Nach dem Frühstück fahren wir mit den Zodiacs bei nasskalter Witterung und etwas Schnee direkt an den Kieselstrand vor der Walfangstation. Einige Pelzrobben und Seeelefanten säumen unsere Landungsstelle.

Zunächst geht es ins Museum (1992 Im Haus des ehemaligen Verwalters eingerichtet). Dort sind Exponate aus Grytviken sowie anderen Walverarbeitungsstationen Südgeorgiens zusammen getragen worden. Zahlreiche Fotos zeigen die Arbeit und das Leben der Menschen In dieser Station. Hier gibt es auch ein Foto von „Lille-Carl“, einem ehemals als Robbenfänger „Duncan Grey“ 1884 in Christiania bei Oslo gebautem Schiff. Nachdem Larsen es gekauft hatte, wurde es nach seinem Sohn Carl umbenannt, der 1889 im Alter von nur 9 Jahren gestorben war. Diese „Lille-Carl“ brachte 1912 den bis heute mit 33,5 m längsten je vermessenen Wal nach Grytviken. Das erlegte Tier ragte dabei 9 m über das 24 m lange Boot hinaus. Nach der Museumsbesichtigung wird uns eine Führung durch den Ort angeboten. Wir erfahren etwas zur Geschichte, zu den Verarbeitungsanlagen und zum Leben der Menschen an diesem abgelegenen Fleckchen Erde. Weiter oben besuchen wir die kleine weiße Holzkirche, die 1913 hierher transportiert wurde, nachdem man sie in dem norwegischen Ort Strömmen vorgefertigt und in einzelne Teile zerlegt hatte.

Die meisten der Arbeiter in der Walfangstation kamen aus Norwegen.

In der Anfangszeit stammten sie zu 60% aus dem Gebiet Vestfold am Oslofjord. In späteren Jahren wurden sie auch in Großbritannien, Südamerika und auf den Falklandinseln angeworben. Sie waren Saisonkräfte und arbeiteten hier während des südlichen Sommers von Oktober bis März. In dieser Zeit lebten bis zu 500 Menschen in der Station. Zur Frischfleischversorgung gab es Rinder, Schweine, Schafe und Hühner. Sogar Rentiere wurden eingeführt und auf der Insel freigelassen. Zunächst wurde der Blubber der Wale in mit Kohle beheizten Kesseln ausgekocht und in Fässer gefüllt. Das Heranschaffen der Kohle und die Verladung der Fässer war dabei eine zeitraubende Arbeit. Dann aber stellte man die Befeuerung auf Öl um, dass in großen Tanks gelagert wurde. Auch das Walöl wurde nun nicht mehr in kleine Fässer gefüllt, sondern ebenfalls in riesigen Tanks aufbewahrt.

Den Briten blieben schließlich die Aktivitäten der Norweger auf dem von ihnen beanspruchten Territorium Südgeorgiens nicht gleichgültig. 1909 richtete die britische Regierung einen Magistrat am nur wenige hundert Meter entfernten King Edward Point ein, der u.a. die Walfangindustrie beobachten sollte. King Edward Point war bis zum Frühjahr 2001 britischer Militärstützpunkt; heute werden die Häuser von Wissenschaftlern genutzt, die auf Südgeorgien arbeiten. Dieser Magistrat verfügte auch, dass nicht nur der Blubber, sondern der ganze Wal zu verarbeiten sei. Daraufhin wurde eine dampfgetriebene Knochensäge angeschafft, um auch an das Öl in den Knochen zu gelangen. Die Stromversorgung wurde 1928 durch ein Wasserkraftwerk sichergestellt, welches vom höher gelegenen „Gull-Lake“ gespeist wurde, der auch als Trinkwasserreservoir diente.

Gearbeitet wurde in einem 12 Stunden Tag

Für das Frühstück und das Mittagessen wurde jeweils für eine halbe Stunde unterbrochen. War kein Wal zu verarbeiten, durften die Pausen auf eine Stunde verlängert werden. Der einfache Arbeiter war in Räumen mit 6 Schlafstätten untergebracht, während die Vorarbeiter und Handwerker oftmals über Einzelzimmer verfügten. Ein durch den Ort fließender Bach bildete die informelle Grenze zwischen der Management Area und der Produktion. Während es in den Management Villas komfortabel und gemütlich zuging, waren die Barracken der Arbeiter nur mit dem Nötigsten ausgestattet. Im Jahr 1930 wurde ein Kino mit 300 Plätzen eröffnet. Es gab nur wenige Filme zu dieser Zeit. Sie zirkulierten zwischen den einzelnen Walfangstationen und wurden dann nach einiger Zeit wiederholt. Sport war eine wichtige Freizeitbeschäftigung in dieser Zeit. Es gab Fußball-Wettbewerbe um den „Pesca-Cup“, Schilanglauf und sogar eine Sprungschanze. Die Teilnehmer kamen aus Grytviken und den anderen Stationen.

Carl Anton Larsen, der 1905 auch seine Frau und seine sieben Kinder nach Südgeorgien geholt und neben seiner norwegischen auch die britische Staatsbürgerschaft erhalten hatte, verließ die Insel 1914 als reicher Mann. Zwar zeichnete sich schon seit der Jahrhundertwende ab, dass künftig Erdölprodukte das Walöl für Schmier- und Beleuchtungszwecke ablösen würde, aber 1904 war ein chemisches Verfahren entwickelt wurden, mit dem tierische Öle in feste Fette umgewandelt werden konnten (Hydrierung); damit hatte das Walöl als Ausgangsstoff für die Herstellung von Margarine und Seife eine neue Bedeutung gewonnen. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stieg außerdem die Nachfrage nach Glyzerin, einem Nebenprodukt der Walölverwertung und Wale wurden in großer Zahl gejagt.

Dies alles erfahren wir von Sarah Lurcock, die mit ihrem Mann das Museum betreibt und von den Informationstafeln und Bildern des Museums.

Nach der Führung durch das Museum und den Ort besuchen wir noch den Friedhof von Grytviken. Er ist mit einem weißen Holzzaun eingefasst. Hier bekam auch der Polarforscher Ernest Shackleton seine letzte Ruhestätte. Er starb 1922 an Bord der „Quest“ an Herzversagen in der Bucht von Grytviken. Auf Wunsch seiner Frau fand er hier seine letzte Ruhestätte. Neben dem Grab von Shackleton gibt es noch weitere 62 Gräber. Insgesamt starben während der aktiven Zeit der Station 178 Menschen. Der jüngste war 14 und der älteste 71. Die meisten von ihnen waren ertrunken oder starben bei anderen Unfällen.
Etwas oberhalb der Friedhofsanlage steht ein weißes Kreuz, das an Walter Slossarcyk, den dritten Offizier von Filchners Expeditionsschiff „Deutschland“ erinnert, der 1911 unter ungeklärten Umständen bei einem Bootsunglück ums Leben kam.

Zwischen 1904 und 1965 wurden Insgesamt 175250 Wale allein auf Südgeorgien verarbeitet. In der gesamten Antarktis mehr als 1,5 Millionen, die die Populationen bis an den Rand der Ausrottung brachten. Der Bau der Walfangstation in Grytviken 1904 war zwar nur der Anfang, aber sie markiert das Jahr an dem die Ausrottung der riesigen Walvorkommen begann.

Über uns

Bücher

  • Pottwale - Im dunklen Blau des Meeres
  • Wale Hautnah - Das Buch
  • leider ausverkauft und vergriffen!