Projektbericht 2020
Das Jahr 2020, das wohl unter dem Titel „Corona-Jahr“ in die Geschichte eingehen wird, war ein ganz Besonderes, mit vielen unvorhersehbaren Herausforderungen.
Nach zwei schweren Naturkatastrophen, mit dem Tropensturm Erika im Jahr 2015 (s. Projektbericht 2015) und dem schlimmsten Hurrikan Maria im Jahre 2017 (s. Projektbericht 2017), der fast 80% der Insel zerstörte und unser gesamtes Forschungszentrum in Schutt und Asche legte, arbeiteten wir in den letzten zwei Jahren hart, um unsere Ziele von Pottwale e.V. weiter erfolgreich voranzutreiben.
Die anfänglichen Sorgen um die Zukunft unseres Vereins waren verflogen und inzwischen arbeiteten wir motiviert und voller Zuversicht an neuen, zukunftsfähigen Konzepten.
Doch dann kam das Virus!
Und Dominica erlebte die dritte Katastrophe in nur 5 Jahren. Lockdown, Kontaktverbote, Ausgangssperre…
Die Welt stand still, auch in Dominica!
Auch, wenn es sich anfänglich für uns wie eine Katastrophe anhörte, bekam diese Stille plötzlich eine andere Bedeutung für uns.
Denn es war im wahrsten Sinne des Wortes still, keine Touristen, Kreuzfahrtschiffe und Schnellfähren, keine hektischen Whalewatch-Ausflüge und Schwimmprogramme mit Pottwalen mehr.
Im Meer war Ruhe eingekehrt!
Und diese Stille war und ist ein Segen für die Umwelt, die Natur und für unsere Pottwale vor Dominica.
Nachdem wir in den letzten Jahren immer weniger Pottwale vor der Küste sichten konnten und der Bestand deutlich zurück ging (s. hierzu unseren Bericht: Drama um Pottwal-Population vor Dominica), wollten wir herausfinden, ob diese Stille einen Einfluss auf das Leben der Pottwale vor Dominica hat.
Nachdem der Lockdown Ende Juni aufgehoben wurde, durften wir das erste Mal Anfang Juli wieder zu Forschungszwecken hinausfahren. Die Spannung war hoch, bis wir dann nach ca. einer Stunde Fahrt und nur zwei Meilen vor der Küste von alten Bekannten begrüßt wurden.
Die Mitglieder der Group of Seven (Unit F) sowie der Familie Utensils (Unit U) hatten ein ausgiebiges „Social-Meeting“ miteinander. Diese Zusammenkunft an der Oberfläche dauerte weit über eineinhalb Stunden und wurde auch mit vielen Sprüngen, sog. „Breaches“, begleitet. In der Ferne konnten wir noch weitere Tiere ausmachen, aber nicht identifizieren.
Das wichtigste bei dieser Sichtung war, dass wir zwei größere Kälber in der Gruppe erkennen konnten. Es handelt sich anscheinend um die Kälber Corkscrew aus dem Jahre 2017 und Hope aus dem Jahre 2018. Weil wir schon lange keinen erfolgreichen Nachwuchs mehr in den Gruppen hatten, (s. Bericht Drama um Pottwal-Population), war die Freude darüber natürlich überschwänglich!
Endlich wieder zwei Kälber heranwachsen zu sehen, ist eine bedeutende Beobachtung und stärkt die Hoffnung für das Überleben dieser Population!
Bis zum Jahresende machten wir einige erfolgreiche Beobachtungen.
Neben den Familien der Unit F und U zeigten sich auch Mitglieder der Unit A, bei der sich ebenfalls zwei Kälber, das eine drei Jahre und ein anderes vier Jahre alt, bester Gesundheit erfreuten.
Mitglieder der Gruppe Unit J, der Unit S und der Unit D, genossen gleichfalls die Ruhe im Meer vor Dominica.
Bei der Unit D war die Überraschung und Freude besonders groß, als wir Doublebend wieder getroffen haben. Ein Mitglied, welches wir seit 2014 nicht mehr gesehen hatten und in unserem Fluken-Katalog schon für tot erklären wollten.
Alle Pottwale der einzelnen Units können Sie auch gerne in unserem Fluken-Katalog nachschauen:
Anfang Dezember wurden wir dann sogar noch mit einem zusätzlichen ganz besonderen Highlight belohnt. Am 4.12. fuhr unsere Mitarbeiterin Petra Charles wieder hinaus und berichtete uns folgendes:
Bericht 4.12.20:
Heute war der Tag des großen Staunens. Noch nie haben wir so viele Pottwale gleichzeitig gesehen, verteilt im Süden und Westen Dominicas, zwischen 2 und 4 Meilen vor der Küste . Kapitän Bill, Crew-Mitglied Kevin und ich haben aufgrund unserer gleichzeitigen Sichtungen von „spouts“ in drei verschiedenen Richtungen eine vorsichtige Schätzung gewagt und kamen auf mindesten 40 Pottwale, die wir gleichzeitig mit bloßem Auge ausmachen konnten. Der Hydrophontest ergab ebenfalls viele „clicks“ aus nördlicher und nord-westlicher Richtung, so dass wir letztlich von ca. 80 Pottwalen sprechen, eine gigantische Menge. Entsprechend sahen wir auch zu unserer großen Freude viele Kälber in den verschiedenen Gruppen.
Auch wir haben in unserer weit über 25 Jahre langen Erforschung der Pottwale vor Dominica noch nie eine so große Gruppe von Pottwalen zu Gesicht bekommen. Man spricht dabei von einem „Superpod“. Diese kennen wir nur aus anderen Gewässern, z.B. bei Sri Lanka, wo solche Superpods ein bis zweimal im Jahr anzutreffen sind.
Stille vor Dominica – was hat sie bewirkt?
Es war für uns kaum zu glauben, dass die Wale in so zahlreicher Menge wieder vor die Küste zurück gekommen sind und so viele Kälber überlebt haben und groß geworden sind.
Ist das nicht Beweis genug, dass es absolut notwendig ist, darüber nachzudenken, wie wir der Natur und den Tieren in Zukunft weiterhin zu etwas mehr Stille verhelfen können!
Stille verbreiten – ein Virus hat es geschafft!
Natürlich nutzten wir das Jahr 2020 nicht nur, um die Pottwale zu erforschen, unser Hauptaugenmerk gilt natürlich weiterhin ihrem Schutz. Weil nach dem Lockdown immer noch Kontaktbeschränkungen bestanden, konnten wir unsere Kinder- und Schulprogramme einschließlich der Strandsäuberungsaktionen (Beachcleaning days) nicht weiter fortführen.
Als Konsequenz entwickelten wir eine andere Idee, die wir bei den Ausfahrten beschlossen, bei denen wir ja, unter Beachtung der Kontaktbeschränkung, nur allein an Bord sein durften:
Wir verlegen die „Beachcleaning days“ auf das offene Meer!
Idee und Ausführung der „Oceancleanup days“ war geboren!
Da war immer wieder dieser furchtbare Plastikmüll:
alle Sorten von Plastikflaschen,
ein Kindersurfbrett,
Farbeimer und vieles mehr!
Einmal fanden wir ein verlassenes, umhertreibendes Fischernetz!
Das ist eine der größten Gefahren für alle Meeresbewohner!
Das Wegräumen unseres Mülls ist immens wichtig für die gefährdeten Meeresbewohner!
Wie oft mussten wir schon hören, dass sie sich in umhertreibenden „Geisternetzen“ verfangen und nicht selten tödliche Verletzungen davontragen und qualvoll verenden.
Plastik im Meer – Das menschengemachte Umweltproblem!
Wie viel Kunststoff genau in den Ozeanen dümpelt, ist bislang nicht bekannt. Eine britische Studie zeigt ganz klar, dass der Atlantik mit vielen Millionen Tonnen Mikroplastik belastet ist – wesentlich mehr als bislang vermutet.
Trotz Corona endete das Jahr 2020 für uns erfolgreich. Das Virus bestimmte unsere Arbeit in diesem Jahr und wir blicken mit Demut aber auch mit Zufriedenheit darauf zurück.
Es hat uns neue Perspektiven ermöglicht und die Zuversicht für die kommenden Jahre ist groß. Ein ganz entscheidender Grund für diese Zuversicht sind unsere Mitglieder und Sponsoren. Die Loyalität, die wir in den letzten Monaten gespürt haben, war außerordentlich. Wir nehmen das nicht als selbstverständlich. Wir haben eine ganz besondere Herzlichkeit gespürt und einen großen Willen, Teil unseres Vereins und des Erreichens unserer Ziele zu sein.
Wir sind stolz und dankbar – auf Euch und auf uns –
auf das, was wir gemeinsam in den vergangenen Jahren geleistet haben.
Nichts geht alleine, aber alles geht zusammen!